WIE KANN MAN DEM ‘WEISSEN RETTER-SYNDROM’ ENTKOMMEN?

Es könnte sich um eine saftige Szene aus einer ugandischen Version von Das kleine Haus in der Prärie handeln. Ich trage eine handgefertigte Hose mit afrikanischem Muster an den Beinen und sitze mit einer Ukulele im Schatten eines Mangobaums. Um mich herum sind schwarze Mädchen mit kurzen Köpfen und Kleidern voller Tränen. Mit großen Augen voller Bewunderung sehen sie mir zu, wie ich auf den Saiten herumfummele, und versuchen dann, es auf etwa fünf anderen Ukulelen nachzuahmen, die ich den Kindern zusammen mit einem Freund geschenkt habe.

Weiss, reich und auf Reisen in Afrika

Heute ist meine letzte Unterrichtsstunde und ich habe einige Schlüsselanhänger für die Mädchen mitgebracht, damit sie sie als Erinnerung behalten können. Es sind Schlüsselanhänger mit holländischen Holzschuhen daran. Ich hole die kleinen Geschenke aus meiner Tasche und beginne, sie zu verteilen. Lächelnd halten die Kinder ihre Hände hoch und umarmen meine Beine. Sie sind glücklich, und ich fühle mich gut. In Gedanken klopfe ich mir selbst auf die Schulter.

Sie sind weiß, reich, gebildet und reisen in Afrika. Dass es dort viel Armut und Hunger gibt, haben dir auch die Giro555-Werbespots im Fernsehen verraten. Ich selbst habe in Kampala der Hauptstadt von
Uganda gelebt. Als ich neulich durch Facebook scrollte, stieß ich auf die Sonderseite für ‘Niederländer in Uganda’. Eine Dame stellte die Frage: “Was kann ich den Kindern mitbringen?” Eine logische Frage, denn haben wir als wohlhabende Westler mit einer privilegierten Stellung nicht die Verantwortung, etwas zurückzugeben? Aber Vorsicht! Ehe du dich versiehst, bringen all deine edlen Absichten eine Menge ungewollten Ärger mit sich und du wirst bald mit der Diagnose ‘White Savior Syndrom’ aus der Arztpraxis gehen. Aber was ist das eigentlich? Woher kommt sie? Wie können wir dem entgehen und trotzdem unseren Beitrag leisten?

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Die Wurzeln des weissen Retterkomplexes: woher er kommt

Wir gegen sie

Um den Kern des White Savior Syndroms zu verstehen, ist es wichtig, mit der Kolonisierung von Subsahara-Afrika (alle afrikanischen Länder südlich der Sahara) zu beginnen. Die Briten zum Beispiel parkten ihren Hintern in Uganda und Kenia und hielten die Herrschaft bis in die 1960er Jahre(!). In dieser Zeit begann die Entkolonialisierung, und die Länder wurden für unabhängig erklärt. Dennoch gibt es bestimmte Spuren der Kolonialisierung, die wie ein hartnäckiger Virus in den Gesellschaften vieler afrikanischer Länder schlummern. Überbleibsel, die in Büchern, Kulturen, Normen und Werten, der akademischen Bildung oder dem Selbstverständnis vieler Menschen lauern.

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(Quelle des Fotos oben: Instagram-Account Retter-Barbie. Auf der Seite findest du weitere bissige, satirische Bilder, die sich über den White Savior Complex lustig machen!)

Das Privileg der weissen Westler

Eines dieser rostigen Überbleibsel ist das weiße Privileg, das weiße Westler genießen. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass praktisch jeder weiße Afrikareisende widerwillig zugeben muss, dieses Privileg schon einmal gespürt zu haben; ob in einer großen Metropole wie Nairobi oder bei einem Spaziergang durch ein abgelegenes Dorf. Dass es immer noch eine große Ungleichheit gibt und deine Hautfarbe bestimmte soziale Vorteile mit sich bringt, ist eine Selbstverständlichkeit. Weißes Privileg geht oft Hand in Hand mit weißer Überlegenheit: das System, in dem Weißsein im Mittelpunkt steht und als “besser als” angesehen wird. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass die ganze “Wir-sind-weiß-reich-und-gebildet-und-wir-müssen-den-Armen-helfen”-Idee genau das tut, was der Name vermuten lässt. Es hält diese Ungleichheit felsenfest. Es fördert eine “Wir-gegen-sie”-Situation, in der wir also die Helden in weißen Socken sind und sie die armen Schlucker, die “gerettet” werden müssen. ….

Der Westen weiss es am besten

In vielen Situationen kannst du das unangenehme Gefühl spüren, das durch eine Denkweise ausgelöst wird, die vielen Weißen ‘logisch’ erscheint: Wir Westler sind einfach in der Lage zu helfen. Wir haben Wohlstand, sind reich und gebildet, und das hat einen Grund, oder? Wir werden also wissen, was das Beste ist!

Diese neokoloniale “Wir gegen sie”-Mentalität, in der der weiße Westler als dem “Afrikaner” überlegen angesehen wird, rechtfertigt alle möglichen Dinge, die eigentlich nicht zu rechtfertigen sind: Wir sollten uns nicht mit der Kultur, den Normen und Werten oder den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen, denen wir zu helfen versuchen, auseinandersetzen müssen. Als Westler in Afrika müssen wir uns nicht fragen, ob das, was wir für das Beste halten, tatsächlich das Beste für diese Menschen ist. Ob die Menschen überhaupt helfen oder ‘gerettet’ werden wollen. Als Freiwillige müssen wir nicht qualifiziert sein, um eine Klasse afrikanischer Kinder zu unterrichten, denn wir haben einen nagelneuen Schulabschluss in der Tasche, und das reicht doch, oder? Was sagen solche Situationen eigentlich über den Wert aus, den wir als ‘weiße Retter’ der Qualität der Bildung afrikanischer Kinder beimessen?

Neugierig auf Kenia?

Motivation: Instagram?

Und um auf die Freiwilligenarbeit in Afrika als weißer Westler zurückzukommen: Frag dich, was deine intrinsische Motivation ist. Diese Frage ist manchmal schwer zu beantworten, da Altruismus und Egoismus in der afrikanischen Landschaft philosophisch gesehen oft Hand in Hand in die Hose gehen. So rein sich dein Wunsch, anderen zu helfen, auch anfühlen mag, wenn du dich am Ende des Tages im Spiegel betrachtest, fühlst du dich besonders gut. DAS KANN AUCH SEIN!

Aber wenn du während deines zweiwöchigen Freiwilligendienstes in einem Waisenhaus Fotos von armen ugandischen Kindern machst, die sich um dich scharen, als wärst du der Messias, und dies dann auf Instagram postest, um dafür Schulterklopfer zu erhalten, dann solltest du dich vielleicht fragen, 1) was für einen Eindruck du bei deinen Mitmenschen damit hinterlässt und 2) welche klischeehaften Vorstellungen du damit förderst.

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Die negativen Auswirkungen der weissen Retter

Sawa, jetzt verstehen wir, woher das White Savior Syndrom kommt. Aber jetzt fragst du dich vielleicht immer noch: Was genau ist eigentlich so schlimm daran, helfen zu wollen? Oder schöne Dinge an Kinder, die weniger Glück haben, zu verschenken? Lass mich dir einige konkrete Beispiele nennen, um dies besser zu erklären. Frag dich zunächst, wie sich das Verhalten der White Saviors auf das Selbstbild der Bewohner auswirkt.

Was macht es mit dir als Mensch, wenn du als rettungsbedürftige Seele abgestempelt wirst? Wenn Fremde, die deine Kultur überhaupt nicht kennen, in deine Heimatstadt spazieren und dir sagen, wie du dein Leben leben sollst? Oder wenn du von den Menschen, die dir angeblich helfen wollen, nicht ernst genommen wirst? Wenn du tatsächlich anfängst zu glauben, dass diese Westler alles besser wissen, wirst du dann immer noch ermutigt, deinen Arsch an den Straßenrand zu setzen und für eine bessere Zukunft zu kämpfen?

(Quellen für die nebenstehenden Fotos: 2 Geniale YouTube-Videos: 1) ‘Wie wie man mehr Likes in den sozialen Medien bekommt’über soziale Medien und Selfie-Verhalten als weißer Retter in Afrika südlich der Sahara. 2) Wer will ein Freiwilliger sein? Sehtipp! Ein wahnsinnig schmerzhaftes YouTube-Video über ‘Voluntourismus’ und den ‘White Savior Complex’)

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Arbeitsplätze wegnehmen... oder nicht?

Mehr noch: Es stellt sich auch heraus, dass die lokale Wirtschaft oft wegen unserer gedankenlosen heroischen Aktionen in Schwierigkeiten gerät. Warum sollten wir eigentlich Häuser oder Brunnen in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit bauen? Die Antwort liegt auf der Hand: Wir zahlen dafür, dass wir arbeiten dürfen, anstatt ein Gehalt für die Arbeit zu verlangen, die wir leisten. Wir nehmen nicht nur Jobs an, sondern viele Freiwillige erweisen sich oft als ebenso gut darin, einen Stall oder eine Schule zusammenzuhämmern, wie sie Adungu (ein traditionelles ugandisches Instrument) spielen können. Das heißt, überhaupt nicht. Allein ich kenne mehrere Geschichten von Freiwilligen, die feststellen mussten, dass die Menschen vor Ort ihr Gebäude Stein für Stein erneut aufbauen mussten, nachdem sie gegangen waren. Nun, dann kratzt du dich am Kopf und fragst dich: Was hat mein Beitrag eigentlich bewirkt? Wer sollte hier die Bedürfnisse von wem erfüllen?

Weiss, reich und auf Reisen in Afrika: kann ich überhaupt helfen?

Ja, natürlich. Wie auch immer du es betrachtest, weiße Westler sind oft diejenigen, die über Kapital und genügend freie Zeit verfügen, um längere Zeit im Ausland zu verbringen. Deshalb möchte ich keineswegs widersprechen, dass es viele Organisationen gibt, die in Bereichen, die sonst niemanden interessieren, einen großen positiven Einfluss haben. Organisationen, die das Leben vieler Menschen für immer verändert haben, ohne sich dabei mit einem flatternden Superman-Umhang um die Schultern ins Rampenlicht zu stellen. Das ist eine lohnende Arbeit, und oft können sie eine helfende Hand oder eine Spende gebrauchen.

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Help beware

Aber das Schlüsselwort hier ist “Umstände”. Am wichtigsten ist, dass du, wenn du als wohlhabender Westler in afrikanischen Entwicklungsländern die Ärmel hochkrempelst, schöne Dinge verteilst oder Geld spenden willst, bewusst darüber nachdenkst. Dass du dich zuerst mit der Situation und der Kultur auseinandersetzt. Wer sind die Menschen, denen du helfen möchtest? Auf welche Weise möchten sie unterstützt werden und was wird wirklich benötigt? Wie groß ist dein tatsächlicher Einfluss, positiv und negativ? Was ist deine intrinsische Motivation? Wenn du dann etwas bewirken kannst – und sei es auch nur für eine Person – dann ist es in Ordnung, eine Zeit lang stolz auf sich zu sein.

Die Bilder, die du aufnimmst, der Kontext, in dem du sie postest, und die Worte, die du verwendest, haben viel mehr Einfluss, als du wahrscheinlich denken würdest. Nicht nur auf die Umgebung, in der du zu Gast bist, sondern auch auf das Bild, das deine Freunde zu Hause von dem Land haben, in dem du dich aufhältst. Ein paar Faustregeln: Fotografiere niemals einfach nur Menschen ohne deren Erlaubnis! Bitte um Erlaubnis, wie du es in deinem eigenen Land tun würdest. Achte außerdem darauf, dass du bei deinen Beiträgen keine Worte oder Bilder verwendest, die die Würde der Menschen verletzen oder Stereotypen verstärken. (Mit #PoorAfricanChild als Hashtag? Eher nicht.) Nutze stattdessen deine sozialen Medien, um die Vielfalt und Schönheit des Landes zu zeigen, in dem du zu Gast bist!

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